Dienstag, 16. Oktober 2007

Einer der Krisenherde dieser Tage

«Jeder stampft auf, und jeder tut es auf dieselbe Weise. Jeder schwenkt die Arme, jeder bewegt den Kopf. Die Gleichwertigkeit der Teilnehmer verzweigt sich in der Gleichwertigkeit ihrer Glieder. Was immer an einem Menschen beweglich ist, gewinnt ein Eigenleben, jedes Bein, jeder Arm lebt wie für sich allein [...]. Schließlich tanzt vor einem ein einziges Geschöpf, mit fünfzig Köpfen, hundert Beinen und hundert Armen ausgestattet, die alle auf genau dieselbe Weise oder in einer Absicht agieren. In ihrer höchsten Erregung fühlen sich die Menschen wirklich als eines, und nur die physische Erschöpfung schlägt sie nieder.»
[Elias Canetti, 1960]





Hinterher ist man bekanntlich immer schlauer. Also, dass beim geistigen Eigentum der Spaß passé ist. Die Wahl der Mittel gerne mal entgleitet. Und 24 Songs durchaus 220.000 Dollar kosten. Widerfahren ist dies Jammie Thomas. Allein erziehend, gerade 30 Jahre – und jüngst eben von einem amerikanischen Geschworenen Gericht im Staate Ohio des illegalen Filesharing für schuldig befunden. Ähnlich abseitig: brandaktuelle russische Urheberrechtsansprüche auf das bulgarische Sturmgewehr AK-47. Lakonisch deshalb die Intervention des bulgarischen Künstler Nedko Solakov: auf der diesjährigen Biennale in Venedig deutet er mit seiner Arbeit beiläufig auf das kyrillische Alphabet; das sei schließlich auch in Bulgarien erfunden worden – ohne dass die Russen je Tantiemen entrichtet hätten. Um einen der Krisenherde dieser Tage, dem Copyright, schichtet sich denn auch das Festival Copy! Und zwischen Roboter-Workshops, Sykpe-Konzerten und Panels eben auch: Bodily Functions.
Am Dienstag, den 16.Oktober. Abends, eine Stunde. Ab zehn Uhr. Zwischen Schellak, Schweiß, Sportshirts: DJ Supertobi.

Montag, 1. Oktober 2007

Einigkeit und Recht und Techno

Eine Intervention wider der Stromlinie

Von Conrad Schnitzler
Foto: Andy Rumball

Was für mich Rhythmus bedeutet? Rhythmus wo jeder mit muss. Genau das ist es, was mich ankotzt. In ein Verhalten gezwungen, das ich nicht bestimmen kann. Der Rhythmus also, der beim Hören das Verhalten bestimmt. Die schlimmste Form dabei: der Marschrhythmus. Wenn ich die Jugend in ihren gepimpten Autos an mir vorbei wummern höre, höre ich da nur das wumm wumm der großen Marschtrommel. Ja, die Trommel ruft zum Streite, wie es im alten Kameradenlied heißt. Der Herzrhythmus, die wahrscheinlich älteste Form wiederkehrenden Klangereignisses. Das Pochen des Blutes. Der stoßende Atem beim Dauerlauf. Zusammen wohl die ursprünglichsten Formen suggestiven Taktes. Diese Art der Repetition ist mir vertraut, auch nicht unangenehm. Was ich hingegen von Anfang an nie wollte: Programmmusik betreiben. Musik, die zu irgend eines Nutz und Frommen ist. Also, um Menschen in irgendeine Richtung zu bewegen. Ja, auch Tanzmusik war nie mein Anliegen. Was mir seit den Zeiten des Dritten Reiches am meisten auf den Wecker ging: Massenpsychose. Die findet sich heute im Fußballstadion, genauso wie bei einer Technoparty wieder. Bei allen diesen Begebenheiten ist der suggestive, repetitive Rhythmus im Spiel. Diese Art des Seins ist nicht mein Ziel.


Conrad Schnitzler: «
In eine weite freie Landschaft entlassen»

In meiner Musik gibt es natürlich auch Rhythmics. Manchmal auch bewusst, die von mir so Verachtete fürs Mitklopfen, Mithüpfen. Die will ich als Proben verstanden wissen. Als Teststücke, um zu klären, was es denn auf sich hat, mit dem Phänomen der Massensuggestion. Wenn man meine Liste der Solo-Rhythmics durchhört, weiß, zu welchem Zwecke diese von mir hergestellt wurden, wird vieles klarer. Es geht also nicht um Massensuggestion. Ich betrachte eher sie als Drive im Klangeschehen. Sie sind nicht dazu gemacht um alle im selben Takt zu bewegen. Nicht, die viertel, halben oder ganzen Schlagzeiten zu betonen. Um alle im selben Schwung zu bewegen. Nein, die Materie in dem sich die Rhythmik bewegt, bleibt völlig unbeeinflusst von der rhythmischen Textur. Ungefähr als ob Menschen, die in einem Fahrzeug sitzen, stehen, liegen, sich absolut nicht um die Fahrtrhythmik kümmern. Oder ist es üblich, in der U-Bahn, wo auch immer, im Takt der Räder, der Geräusche mitzutanzen? Etwa so muss man sich meine Vorstellung von Rhythmik im Kosmos der freien Töne vorstellen. Sie ist genau so frei von den ihn umgebenden Tönen, wie die Töne sich nicht nach dem Drive richten müssen. Man stellt ja immer wieder fest, wie albern es aussieht, dass die Deutschen im Rockkonzert nicht in der Lage sind, den richtigen Handclap hinzubekommen. Anders als beispielsweise die Briten. Meine Landsleute können eben nur Marschmusik. Und um das zu durchbrechen, haben wir Techno erfunden. Da zappelt jeder nach seiner Facon. Wie wir alle wissen nach der Befreiung der Tonalität zur Atonalität durch Arnold Schönberg, wurde die Rhythmik durch Igor Strawinsky mit seinen Grenzüberschreitungen
wie in Sacre du Printemps von allen Zwängen in eine weite freie Landschaft entlassen. Damit brach die Emanzipation des Rhythmus, die seit Jahrhunderten geltenden Regeln der Taktrhythmik.

In der Popmusik sind aber immer noch die primitiven rhythmischen Strukturen üblich. Sie neigt nicht zur Kunst, sondern zum Kommerz – also zur Massenpsychose. Der 3/4-Takt, wie An der blauen Donau eines Johann Strauß. Der 4/4-Takt der Nationalhymne: Einigkeit und Recht und bla bla bla. All das interessiert mich nicht. Schon eher ein Take Five des Dave-Brubeck-Quartetts, mit seinem 5/4-Takt: bam, bam, bam bam bam bam. Die Klopfspechte taten ihr Übriges, dass die Menschen zur Maschine tanzen. Sie haben sich vom unerbittlichen Geklopfe der kleinen Rhythmusteufelchen einfangen lassen. Zu meiner Verwunderung muss ich gestehen, einer der ersten gewesen zu sein, der solch Klopfgeister benutzte. Davon zeugen meine Alben: Rot, Blau. Ganz besonders mein Stück Zug. Allerdings ist sehr genau zu hören, dass es sich nicht um die oben beschriebene Suggestion zur Massenpsychose handelt, sondern eben um diesen Drive: im Zug sitzen und die Landschaft sich bewegen zu sehen. Oder Ballet Statik, der innere Tanz, während der Körper sich ruhig verhält. Warum allem hinterher jagen? Aber ich will hier nicht das Tanzen verbieten, verteufeln. Es ist einfach nur nicht das, was ich herstellen möchte.

Conrad Schnitzler, geboren 1937, lebt und arbeitet im idyllischen Dallgow-Döberitz unweit von Berlin. In seinem Leben suchte er vornehmlich das Weite. Gleich, ob er nun zur See fuhr. Mit Joseph Beuys gemeinsame Sache machte. Oder mit seiner Bande »Kluster« die kalte Aura klappernder Fabrikhallen elektrifizierte – und so im vorbeigehen der Populärmusik die Avantgarde vor die Füße schmiss.



Mittwoch, 1. August 2007

Rhythmus. Blut. Du. Ich.

«Bei meinem Film 196 BPM – über DJ Hell – habe ich gemerkt, dass man das Musikstück bei einer Plansequenz ganz anders wahrnehmen kann, auch visuell. Man kann beobachten, wie so ein Techno-Track aufgebaut wird, das finde ich interessant. Und wie Spannung erzeugt wird, wie ein Wechselspiel zwischen Künstler und Publikum entsteht. Klassisch wäre dann so ein Kamera-Arm, der über das Publikum fährt. Mir ist das bei 196 BPM aufgefallen, dass es genau dann eine komplett eingeübte und automatisierte Reaktion von Publikum gibt – mit Zunge rausstrecken, Finger zeigen, in die Kamera reingucken und Kopf drehen gibt. Wenn die Leute dann merken, dass das anders gemeint ist und man länger auf den Personen bleibt, wurden sie oft aggressiv. Aber ich könnte mir schon vorstellen, mich ausschließlich mit dem Publikum zu beschäftigen – aus einer phänomenologischen Sicht.»
[Romuald Karmakar, Regisseur und Dokumentarfilmer.]






Gegen Zehn soll es intim werden. Im Dock 18, an der Grubenstrasse. In Zürich. Flankiert vom Elektromagnetischen Sommer, der gerade dort über den Äther geht, dreht es sich verdichtet um Eines: lässt sich Euphorie synchronisieren? Allerlei Probanden stehen nun genau für diese Nabelschau heute Pate. Und zeigen im besten Falle, welch engmaschiges Beziehungsgeflecht zwischen Mensch und Musik sich spinnen lässt. Was den Gassenhauer vom gemeinen Floorfiller trennt. Und wo, zwischen Herz und Hirn, das Zünglein an der Waage auszumachen ist.
Und als Intro – exklusive Poesie: von Conrad Schnitzer, dem Beuys' Schüler und Gründer von Kluster. Den Rest besorgt DJ Supertobi. Wort.


Donnerstag, 5. Juli 2007

Per Du mit the Ghost Knife – Robin Meier in Nizza

«Was ich meine, wenn ich Rhythmus sage? Rhythmus bedeutet bei mir einen Maschinen-Rhythmus, nur Drive sozusagen. Währenddessen ein richtiger Tanzrhythmus immer genau auf den Punkt kommt, auf die Eins, wo man dann mit dem Fuß aufstampft. So ein Tanzrhythmus muss sehr genau ausgearbeitet sein. Dafür hätte ich gar keine Geduld. Bei mir ist Rhythmus: Drive. Wie in einem Zug, unter dem die Gleise rattern.»
[Conrad Schnitzler, jüngst]


Neulich noch ging das vortrefflich daneben. Robin Meier lancierte zusammen mit dem Filmemacher Noël Dernesch eine feine gesponnene Video-Installation. Mitten im kultivierten Kreis vier labte sich erprobtes Vernissagen-Publikum, bei Champagner und Schnittchen,
an ihrer Interaktion Remember Me. Tragisch nur: Mensch und Maschine erwiesen sich an diesem Abend als zu verletzlich. Laborierten wahlweise an Appendizitis und Systemfehlern. Bange Gesichter. Lange Gesichter. Aller Orte.

Rund fünf Monate später. Robin Meier erzählt beseelt, euphorisch von seinem jüngsten Streich. Sketch la Station. Diesmal Nizza. Getragen von der Vision, eine Brücke zu schlagen. Zwischen Mensch und Tier. Der Rhythmus soll es diesmal richten. Im Mittelpunkt: abermals die Interaktion. Ein wassergespeistes Bassena. Gepulste Information – hüben wie drüben. Allerlei Exoten. Black Ghost Knife, Brown Ghost Knife oder Elephant Fish heißen die denn auch; stehen Pate für dies kühne Ansinnen – im Grenzland zwischen Kunst und Wissenschaft.



Die nächste Etappe nun dies Projektes? Robin Meier bleibt Futurist: «Nun, da ich langsam lerne die Fische zu kontrollieren, wird es bald möglich sein die Tiere als Datenträger zu benutzen. Meint: Informationen speichern, indem ich das Verhalten der Fische ändere. Und eben Informationen abrufen: indem ich ihr Verhalten analysiere. Alsbald ist es also ein leichtes Daten – gleich ob dies nun Bilder, Klänge, was auch immer sein mögen – «in den Fischen» zu speichern und abzurufen.» Nur der Elefanten-Rüsselfisch, mit seiner Passion für Click & Cut-Laute, zeigt sich just noch auf Krawall gebürstet; entzieht sich der Maskerade getrimmter Synthesizer. Robin Meier gibt sich da jedoch ziemlich gelassen: «Den ködern wir auch – früher oder später». Victor Frankensteins Fratze immer vor Augen. Bei Robin Meier wähnt man aber solch Sezieren in guten Händen. Nicht?

Mittwoch, 4. Juli 2007

Ihr habt ja soviel Zeit – eine Straßenumfrage

«Wo freilich alles zerfällt, verrenkt sich auch der Körper mühelos mit. Rohes, Gemeineres, Dümmeres als die Jazztänze seit 1930 ward noch nicht gesehen. Jitterbug, Boogie-Woogie, das ist außer Rand und Band geratender Stumpfsinn, mit einem ihm entsprechenden Gejaule, das die sozusagen tönende Begleitung macht.»
[Ernst Bloch, 1985]

Zürich, an einem Mittwoch-Nachmittag. Nieselregen verfängt sich im Gesicht. Immer wieder. Eher ungemütlich also. Dennoch sind die Straßen wie immer zum Bersten gefüllt. Schließlich lässt man sich in diesen Breiten ungern lumpen. Inmitten all dessen: zehn Streetstyler und ihre gefühlte Zeit. Zehn Momentaufnahmen – zwischen Kreuzstich und Velo-Streife. Die verwegene These? Zeit ist nicht so einfach da; Zeitgefühl schon gar nicht. Lässt sich formen. Lässt also die Liebe zur Musik, die Liebe zu den Tönen das ureigene Zeitgefühl demnach eichen, wie ein ganggenaues Schweizer Uhrwerk? Die Ausgangslage hier scheint günstig wie nirgends: Robert Levine vermaß jüngst in seiner Landkarte der Zeit kurzerhand das globale Zeitgebaren der Großstädter. Mit Platz an der Sonne: die Eidgenossen. Dabei erwies sich nicht nur ihre sprichwörtliche Pünktlichkeit als eigen; auch ihre Schlagzahl ist, entgegen dem Klischee, – gemein mit den Iren – die globale Referenz. Und unterm Strich? Zugegeben, die durchaus launige und geschmäcklerische Selektion vermag dem Ganzen wohl nicht repräsentative Weihen zuteil werden lassen; doch zeigt sie eines: das verwobene Beziehungs-Geflecht – zwischen gefühlter Zeit und geschliffenem Musikverständnis – könnte man durchweg noch enger knüpfen.

Anush



Gefühlte Zeit: -3 Minuten (zur Ist-Zeit)
Musikalisch:
«Ich spiele für mein Leben gerne Didgeridoo, Klavier»
Tanzen:
«Mit Vorliebe»
Gerade im:
«Freizeitstress, zwangsläufig»

Eliane

Gefühlte Zeit: -5 Minuten
Musikalisch:
«Früher so ein bisschen Gitarre»
Tanzen:
«Klar»
Gerade im:
«Stress»

Urs

Gefühlte Zeit: +16 Minuten
Musikalisch:
«Gar nicht»
Tanzen:
«Geht so»
Stress?
«Naja, am Schaffen halt»

George

Gefühlte Zeit: +30 Minuten
Musikalisch:
«Noch nie, nein»
Tanzen:
«Ach ja, schon»
Stress?
«Ich arbeite gerade?»

Simon & Lisa

Gefühlte Zeit. Er: -10 Minuten; sie: -20 Minuten
Musikalisch.
Er: «Als Kind so ein bisschen Blockflöte»; sie: «Nein»
Tanzen. Er: «Sehr gerne»; sie: «Ja, schon»
Gerade: «Freizeit»

Thomas

Gefühlte Zeit: +20 Minuten
Musikalisch:
«Vor Zeiten mal. Querflöte»
Tanzen: «Oh nein»
Gerade im: «Stress. Naja, ein bisschen zumindest»

Monika

Gefühlte Zeit: -5 Minuten
Musikalisch:
«Cello, ganz viel Cello»
Tanzen: «Nein»
Gerade: «Freizeit»

William

Gefühlte Zeit: +9 Minuten
Musikalisch:
«Oh, gar nicht»
Tanzen: «Leidenschaftlich, wohlgemerkt Standard»
Gerade: «Zigaretten-Pause»

Patrick

Gefühlte Zeit: +13 Minuten
Musikalisch:
«Nein»
Tanzen: «Nein»
Stress – Freizeit?: «Nun, weder noch»

Montag, 2. Juli 2007

Âme beim Friseur

«Kraft , Rohheit, Gleichmäßigkeit; das sind Dinge, die einfachste Mechanismen im Körper berühren. Gleich der 4/4-Bassline im Techno: einfachste Muster, auf die wahrscheinlich jeder reagieren wird. Diese basale Wiederholung, angefangen bei deinem Blutkreislauf über die sprachliche Wiederholung in den Lall-Lauten des Babys [...] Minimal-Kram eben. Ich kann das ja überhaupt nur überleben, indem ich ihn mir das zurecht höre; auf die Lücken tanze; die Schläge selbst lösen bei mir keinen Impuls aus. Ich vermute aber, dass das durchaus das Ziel dieser Musik ist. Jeder Schlag unmittelbar in einem Impuls übersetzt werden soll. Eine bestimmte Bewegung. Und im Grunde tanzt man so gerade, wie die Musik auch ist. Vielleicht ist das auch gar nicht so gedacht; man kriegt ein einfaches rhythmisches Gerüst. Den Rest denkt man sich. Interpretiert da die komplexen Tanzschritte rein. Das versöhnt einen mit der geraden Musik. Der gefährlich Aspekt an dieser Minimal-Ideologie ist aber: es wird so getan, als böte sie eine Wahrheits-Garantie. Nach tausenden von Jahren weiß man heute: Je einfacher, desto besser. Die simpelste Struktur trägt bereits die höchste Komplexität. Das scheint mir ein faschistoider Ansatz, den ich nicht akzeptieren kann.»
[Klaus Sander und Jan St. Werner, in «Vorgemischte Welt».]

Das Kreischen macht den Unterschied. Adelt den Moment. Und ist im Kern wohl eine beseelte Liebkosung für den Dramaturgen der Nacht. Rej, aus der Feder des Karlsruher Produzenten-Duos Âme, hatte reichlich davon. Seit grob zwei Jahren nun lässt sich diese Detroit-Ode immer noch aller Orte feiern – gleich ob auf den Hochplateaus der Glückseeligkeit, oder in den Organen elektronischer Lebensaspekte und Clubkultur. Selten vermag ein Stück derart steil im Club zu gehen; obendrein die Grenzmarken zwischen Techno und House so zu kreuzen. Sein Glanz liege in der Schlichtheit. Der eleganten Funktionalität. Dünkt es einen.

Youtube nun featured drei Versionen des Platzhirsches: Adagio, allegro, presto – langsam, mittelschnell, schnell. Wobei beide entschleunigte Kreationen kurzerhand schon um einige Nasenlängen vorn liegen. Wurde der Smash-Hit gar unter Wert verkauft?
Der Grand Prix sei demnach eröffnet. Es bleibt spannend.


Presto



Allegro



Adagio

Montag, 25. Juni 2007

«Für einen guten Song: lass das Denken sein»

Will Schwarz sieht müde aus. Wie er da steht. In seinem neon-grünen Sweater. Wer sollte es ihm aber verdenken. Schließlich hat er die letzte Nacht kein Auge zugetan. Einquartiert in eine bessere Absteige. Gesäumt von barbusigen Frauen, die in den Vitrinen ihr Fleisch feil bieten. Im sonst so polierten Zürich. Kurze Zeit später mimt er auf der Bühne reichlich glamourös das Schaf im Wolfspelz. Zuvor jedoch wird er zum ersten Mal an diesem Abend schallend Lachen. Und man ist sich gewahr: Dieser Mann hat einen Narren an Rhythm & Blues gefressen. Und zum Dessert noch einen Clown verspeist.

Will Schwarz – Kopf der Combo Hey Willpower – über die gute Seele des Rhythm & Blues'.

Wie kommt denn die Sexualität in den R'n'B?

Also, ich kann da wohl nur mutmaßen; schließlich hab ich mir dieses ganze Genre nicht ausgedacht.
Aber es rührt wohl von dieser verwobenen Einheit, aus polierten Beats und klebrigen Melodien; dem Bewusstsein von Sexualität und Sinnlichkeit. Zudem kreist R'n'B mit Vorliebe um Love-Songs.
Beats plus Love-Songs – das ergibt nun mal Sexualität.

Auch wuchtet ja kaum ein zweiter Musik-Stil derart die Köperlichkeit in den Vordergrund.

Rock 'n' Roll mag da noch in ähnlicher Weise wirken, speiste sich aber bekanntlich aus dem Rhythm & Blues. Die Ursuppe köchelte da wohl in der frühen ersten Hälfte den 20. Jahrhunderts. Vagabundierende Singer-Songwriter, wie Robert Johnson oder Billy Holiday, packten ihr ganzes Leben in einen Song. Gleich den Boogie-Woogie-Protagonisten. Gleich all den Blues-Sängern dieser Tage.

Kurz: Soul.

Exakt. Und wo immer das Leben in seiner Tiefe zu finden ist, spiegelt sich eben auch reichlich Sexualität. Die Verpackung mag da keine große Rolle spielen. Es geht um Wahrhaftigkeit. Eben Soul.

Meist jedoch üppig glamourös inszeniert. Ist R'n'B nicht immer auch ein Versprechen auf eine bessere Zukunft?

Wenn man sich den gegenwärtigen Output so ansieht, dominiert da der Schmalz: es geht um Herzschmerz, eine neue Liebe – eben diese universellen Dinge, die unser Leben würzen. R'n'B scheint hierfür wie geschaffen; Rhythmus und Melodie in ihm ideal vereint. Deshalb auch Hey Willpower. Zusammen mit meinem Freund Tomo bilden wir das Fundament; bauen beide die Beats.
Die restliche Staffage, also Komposition samt Poesie, fällt hingegen mir zu. Anfänglich war mir noch daran gelegen, das Ganze ein bisschen undefinierter zu halten. Etwas Abseitiger. Ich merke jedoch schnell: so will das in diesem Kontext nicht funktionieren. Ohne Klischees verpufft das; beinahe wirkungslos.

Nun unterscheidet ihr euch aber ja dennoch vom großen Rest des R'n'B-Zirkus. Ihr mimt ja in gewisser Weise das Schaf im Wolfspelz. Funktioniert das denn dennoch auf dem Dancefloor – trotz Persiflage?

Es spielt ja schon eine gewichtete Rolle, in welchem Kontext das geschieht. In unserem Fall ist das nun gerade Tomlab; bekanntlich ein Label mit großer avantgardistischer Schlagseite. Hätte Hey Willpower nun bei einem Major angeheuert – unser Subtext, all das Unterschwellige, hätte mit Sicherheit nicht diese Relevanz. Wir wären wohl gerade ein weiterer R'n'B-Stern am Firmament – wie Robin Gibb, Justin Timberlake – wer auch immer.


Will Schwarz (2.v.l), neben Partner Tomo:
«
Rhythmus und Melodie ideal vereint»


Das große Moment, auf einem kleinen Label zu fußen ...

Ja. Das spielt natürlich gerade eine große Rolle. In der Art, wie wir just präsentiert; wie wir wahrgenommen werden. Tomlab trägt die Vision, Pop mit der Avantgarde auszusöhnen. Und das deckt sich wunderbarerweise gerade mit unserem Credo. Wir möchten jedoch nicht im Hier und Jetzt verhaften. Hey Willpower nun ist nicht auf alle Zeit auf Beschaulichkeit geeicht. Es könnte auch gut und gerne groß werden. Richtig groß. Ohne dass sich dabei das Wesen von Hey Willpower ändern müsste.

Vor allem im Süden der Vereinigten Staaten gedeiht gerade Crunk; eine grobe Mixtur aus klebrigem Soul, frisierten Beats. Bei Euch spielt sich das so genannte crunking denn eher subtil ab.

Eine Menge davon tummelt sich gerade in Atlanta. Von Protagonisten wie Lil' John. Ich schneide mir da auch immer mit Vorliebe eine Scheibe von ab. Um es dann auch durchaus sehr eigen zu akzentuieren.

So richtig als Pop gebären sich in den Vereinigten Staaten gerade Slow Jams. Getragen. Langsam.

In der Tat: Balladen sind hier gerade wieder enorm populär. Quer durch all die Pop-Radios finden sich immer einige Slow-Jam-Hits auf Heavy-Rotation. Dennoch ist das Ganze ja kein wirklich frisches Phänomen; Entschleunigte, sexy Songs zirkulierten stetig.

Sie mögen so etwas, nicht?

Ja. Ich höre ab und an gerne etwas Kitsch. Und wenn ich es mir recht überlege: Die Pop-Welt speist sich gerade satt aus allerhand Prince-Versatzstücken: P. Diddy bediente sich in seinem Duett der klassisch-zarten Prince-Drums, wie sie beipielsweise in Pop Life zum Tragen kommen – oder eben Ciera: in ihrem aktuellen Smash-Hit Promis. Bahn brach sich diese Kaste wohl in den 1970er Jahren: mit reichlich weichen Balladen und überschwänglichem Soul. Und vor allem: Prince!

Heute wie damals war ja eine Nation vom Krieg gebeutelt. Und wie es scheint durchaus harmoniesüchtig.

Oh ja. In der Tat sehnte sich ja damals eine Nation nach Heilung des Vietnam-Traumata. Nicht zu vergessen: die amerikanische Bürgerrechts-Bewegung, um ihren musikalischen Fixstern Marvin Gay. Mit seinem stetigen Anklagen, inmitten all der Sanftmut und Sinnlichkeit. Nehmen wir doch nur sein Stück Whats going on beipielsweise; dieser wuchernde Sexappeal!

In eurem Stück Phenomenon klingt das so trefflich:
As long as you move your body close to me
I think its time we take it down below
Don't wanna move too fast Better take it slow
Läßt sich denn auf einen Song ummünzen: Je langsamer, desto mehr Sexappeal?

Nicht zwangsläufig. Das hängt natürlich noch von ganz anderen Faktoren ab. Also, wie viel Glamour eine Melodie intus hat. Wie zwingend ein Beat maschiert. Und wie tollkühn die beiden Dinge eben zusammen funktionieren.

Im besten Fall eben mehr als die Summe der einzelnen Teile.

Genau. Die Kombination macht einen Song eben magisch. Dafür gibt es aber keine Formel soweit ich weiß.


Mit Peaches:
«So etwas gibt es natürlich nicht umsonst»


Der Vater von Beyoncé, Matthew Knowles, hatte unlängst eine Parat: 25 Mal müsse ein Liedtitel in einem R'n'B-Stück wiederholt werden – erst dann gereicht er zum Hit.

Oh! Das ist gut. Von Beyoncés Vater stammt das? Wow. Ich sollte mir das besser merken. 25 Mal ...
Das könnte sich aber durchaus als goldene Formel herausschälen:

(singt 'Say My Name' von Destiny's Child)
Say my name
Say my name
You acting kind of shady

Ain't callin me baby
Why the sudden change

Say my name

Say my name

...
Yeah!

(singt nun 'Me, Myself and I' von Beyoncé Knowles)
And it's just me myself and i

And it's just me myself – and i

...
ob ich das wohl ähnlich angehe?

(singt aus seinem Stück 'Magic Window')
I wanna be your magic window

I know the kind of boys you're into
I wanna be your magic window
Tell me the kind of boys you're into

...
Wie es aussieht, singe ich den Titel wohl einfach nicht oft genug!

Das mag vielleicht der Grund sein, warum sie heute hier in Zürich in der Zukunft, spielen. Und nicht in Manhatten's Carnegie Hall.

Ich würde für mein Leben gerne in der Carnegie Hall spielen! Das können sie mir glauben.

Vor einiger Zeit brachte es mal jemand auf den Punkt: Mary J. Blige, die Schutzpatronin des modernen R'n'B, sei dramatischer als Heiner Müller. Wahrhaftiger als ein Konfirmand. Woher rührt denn auch diese Tiefe?

Das Gros moderner R'n'B-Pop-Songs wird ja für den Dancefloor maßgeschneidert. Sie sollen Glück stiften. Zum Tanzen regen. Kurz: den Leuten einfach eine gute Zeit bescheren. Und dann gibt es da eben noch Säulenheilige wie Mary J.Blige. Mit Stücken voller Trauer. Liebeskummer. Selbst- Reflektion. Was auch immer. In jedem Falle: Aufrichtigkeit. Es finden sich selbstredend eine ganze Schar, für die dieses Gebaren schlicht zu trivial. Zu uncool ist. Aber wenn du dir ihre Bühnenschau zu Gemüte führst; ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man diese Tiefe nicht fühlen kann! Da passiert etwas sehr Wertvolles. Weil es so authentisch ist. Fern jeder baren Marketing-Strategie. Und diese Erscheinung ist nur sehr wenigen Künstlern vergönnt.

Für Mary J. Blige mag R'n'B dann therapeutisch wirken.

Lustigerweise begegnete ihr diese Frage erst kürzlich. Zu Gast in der Oprah Winfrey Show. Und sie meinte: „Für mich besitzt meine Musik exakt diese Funktion.“ R'n'B scheint also durchaus heilenden Charakter zu besitzen, ja.

Verhält es sich denn ähnlich, bei dir?

Jeder gute Song von dir ist eine Berührung mit deinem Unterbewusstsein. Denn um ihn zu komponieren, musst du das Denken sein lassen. Dich ganz deinen Gefühl hingeben. Und es macht mich wirklich rundum glücklich, wenn ich mit einem gezimmerten Stück wieder auftauche – in dem Bewusstsein: er ist gelungen! Der die Anlagen hat, Menschen einfach Glück zu bescheren. So etwas macht mich wirklich glücklich. Auf der anderen Seite gib es so etwas nicht umsonst.
Das zieht natürlich auch jede Menge Leid mit sich. Frustration. Aber das ist wohl das Leben.

Der Glück bringende Gospel-Moment.


Gelegentlich. Ja! Wir schälen oftmals zuerst die Vocal-Parts bei unseren neuen Stück heraus.
Und da stellt sich da im besten Falle genau dieser Gospel-Moment ein. Ein Moment voller Glückseligkeit und Emotionalität.

Pop arbeitet sich ja auch, beinah krampfhaft, an diesem Gefühl ab.

Ich bin ja auch beinah nach diesem Pop-Gefühl süchtig. Und liebe die glatte Politur. Am spannendsten wird es jedoch, wenn sich dazu noch ein schräger Moment gesellt. Also, wie in diesem Indie-Hit von Peter, Björn und Mary. Und diesem herrlichen Pfeifen. Oder natürlich all die großen Chansons des alten Meisters Serge Gainsbourg.

Bist du dir denn auch über die Funktionalität deiner Stück im Klaren?

Nein. Nicht wirklich. So etwas läuft bei mir wohl unterbewusst ab. Und spielt eher bei Produzenten eine Rollen, die sich ihr Instrumentarium wie Werkzeuge parat legen. Aber ich zerbreche mir darüber selten den Kopf. Die Wissenschaft dessen erschöpft sich da wohl zumeist bei Leuten wie Autechre. Die Jungs lassen ja Noten nach Zahlen tanzen, nicht? Was mich wirklich interessiert ist der Song. Und das Gefühl dazu. Und wenn das gut ist, ist es der Song zuallermeist auch. Ich arbeite eben lieber mit meinem Bauch, als Algebra.


Mittwoch, 20. Juni 2007

Tempo im Zeitgeist

«Wo genau im Körper Rhythmusgefühl entsteht? Ich glaube, nicht im Kopf, oder? Ehrlich gesagt: ich habe keine Ahnung.»
[Ingo Metzmacher, Chefdirigent in spe beim Deutschen Symphonieorchester Berlin]

Tempo ist die halbe Miete. Das wussten natürlich auch die
Dummy-Magazin-Macher und schichteten unlängst um diese Thematik eine frische Ausgabe. Darin: fein geschliffene, grob gespachtelte Geschichten. Verpackt in die gemeinhin anregende Dosis Sex, dem arabischen Heilsbringer Khat – oder eben Ingo Metzmacher: über die Fliegkräfte Schönbergs, dem Fetisch Slap Bass und den komödiantischen Moment im Rhythmus.



In die selbe Kerbe keilt das
Rhythm-Us-Projekt, am Basler Instiut Hyperwerk.
«Warum nicht mal außerhalb des gewohnten Tagesrhythmus denken, der durch Blocks definiert ist: Acht Stunden Arbeit – acht Stunden Freizeit – acht Stunden Schlaf. Um ihn dann neu zu justieren.»
Ganz abgesehen davon, dass der triviale Nine-to-Five-Job just beinah zum Relikt konserviert; das Credo, dass sich das Sparten übergreifende Rhythmus-Team aufs Banner schreibt, verspricht Verheißungsvolles. Für die Avantgarde: das Spektakel steigt ab dem 1. Juli, eine Woche lang. Last-Minute-Teilnehmer sind noch im Blick.




Montag, 18. Juni 2007

Insignien der Macht

«Was ich überall drin habe, ist diese stampfende Bassdrum. So von 1985 an. Musik zum Hüpfen eben. Das kommt aber eigentlich erst mit dem richtigen Tempo. Bei 150 BPM ist der Ofen aus für richtige Dance-Kultur. Erst dahinter fängt das Hüpfen an. Und mit dem Hüpfen vielleicht auch die Jugend-Kultur. Die große Einheit der pumpenden, glücklichen Menschen. Für die ist dieses Auf und Ab womöglich einfach die Bewegung.»
[Westbam in «Celebration», von Rainald Goetz]

Die Welt wurde irgendwann zum Dorf. Pop war das immer schon. Mit seinen Abgründen und Potjomkinschen Fassaden. Gepflegtes Stilmittel und Definitions-Werkzeug aller Orte: Beats per minute. Während in unseren Breiten das anachronistische Mälzel-Metronom den Takt vermisst, wurde jenseits des Kanals sich dieser gleich einverleibt: der Rhythmus, der von Herzen kommt, wird im angelsächsischen Kulturkreis schlicht mit Beats per minute bemessen. Überhaupt machte sich die Pedanterie des Tempos erst mit Beethoven breit; zuvor zeigte sich die Welt der Klassik noch recht übersichtlich; lediglich festgezurrt auf drei Tempi: Langsam, mittelschnell, schnell – adagio, allegro, presto. Rund um die Club-Kultur hätschelt man hingegen das Goldene Kalb. Funktionalität und Glückseligkeit wollen sich en masse erst jenseits der 120 BPM einstellen.

Die Insignien der Macht – inspiriert von den City-of-Pop-Stadtplanern des Zündfunks.



Mittwoch, 6. Juni 2007

Introducing

«Der Einfluß von Musik auf die Gehirnaktivität erscheint mir in unserer modernen Zeit ein sehr interessantes Problem darzustellen, da junge Menschen heute oft eine Vorliebe für wilde Musik wie z.B. Rock-Musik zum Ausdruck bringen.»
[Prof. Dr. Ilya Prigogine, Nobelpreisträger für Chemie]

Music is Math – so brachte es das englische Avantgarde-Elektro-Duo auf den Punkt. Der Fundus derartiger Pop-Zitate ist reichhaltig: Ein ganzer Reigen progressiver Produzenten, von Stockhausen bis Matthew Herbert; von Justus Köhncke hin zu Mouse on Mars weisen auf ein schematisches Fundament, auf dem Musik zu fußen scheint. Die Indizien schießen nicht minder ins Kraut – moderne Musik, die ja per se beinahe elektronisch generiert wird, gehorcht scheinbar tieferen Gesetzen:
Mädels, diesseits der Dreißiger, gleich welcher Couleur, fallen so gerne popaffinen Rhythm and Blues anheim. Discoide Tanzmusik hält so auffallend mit unserem Herzschlag stand – und überhaupt liegt ja der Rhythmus bekanntlich im Blut. Die Wiege opulenter Click & Cuts scheint hingegen wohl im afrikanischen Voodoo zu wurzeln, wie der Berliner Avantgarde-Popper Schneider TM pointiert festhält: im Trommeln gegen die Angst.
Überhaupt kennen alle Religionen und auch die moderne Musiktherapie schon seit Zeiten die Interaktion zwischen Umwelt und Mensch. Musik und Körper. Vor allem fernöstliche Religionen nutzen die stimulierende Wirkung auf den Körper: in Form von Mantras.

Das Terrain ist groß; dies der erste Streich.